Nachhaltigkeit «on the go» - Wie esg2go die Nachhaltigkeitsberichterstattung von KMU verändert
Mit ‘esg2go’ entwickelte das Zentrum für Unternehmensverantwortung und Nachhaltigkeit (CCRS) ein ESG Rating und Reporting System, das günstig, praktikabel und aussagekräftig ist. Gerade für KMU, die derzeit mit neuen regulatorischen Vorschriften konfrontiert werden, bringt esg2go Vorteile mit sich. öbu hat Philipp Aerni zum Interview getroffen und ihn gefragt, wie sich die neuen Anforderungen zur Nachhaltigkeitsberichterstattung auf KMU auswirken wird und wie esg2go unterstützen kann.
Philipp Aerni, sie beschäftigen sich als Direktor des CCRS täglich mit nachhaltigem Wirtschaften. Welche Herausforderungen sehen Sie gerade für KMU, die sich zum ersten Mal mit dem Thema Nachhaltigkeitsreporting auseinandersetzen?
Wir haben im Auftrag des Bundesamts für Umwelt (BAFU) im Jahr 2019 eine Bestandsaufnahme der existierenden Nachhaltigkeitsreportingsysteme gemacht und untersucht, inwieweit diese für KMU geeignet sind. Es zeigte sich, dass die meisten sehr aufwändig und teuer sind, primär auf Selbstdeklaration beruhen und ihre Bewertungsmethode nicht offenlegen.
Seitdem sind viele neue Privatstandards dazugekommen, was zu einem Wildwuchs führte, der kaum noch überschaubar ist. Es ist verständlich, dass viele KMU sich nach wie vor nicht entschieden haben, ob und wie sie Ihre Nachhaltigkeit erfassen wollen.
Wie verändern die neuen regulatorischen Vorschriften, die auf Schweiz- und EU-Ebene Anfang 2023 in Kraft getreten sind, die Nachhaltigkeitsberichterstattung?
Firmen mit über 250 Mitarbeitenden werden die neuen Regulierungen, die in der Schweiz, in Deutschland und in der EU ab 2023 zur Nachhaltigkeitsberichterstattung in Kraft treten, umsetzen müssen. Dazu gehört auch ein Nachweis, dass ihre Lieferkette nachhaltig ist. Diese neuen Regulierungen werden dazu führen, dass viele KMU als Lieferanten künftig einen Nachhaltigkeitsausweis bei Ausschreibungen vorweisen müssen, um nicht bereits in der Vorqualifikation auszuscheiden. Viele KMU könnten sich dadurch vor den Kopf gestossen fühlen, denn ihre Grosskunden haben unterschiedliche Erwartungen an die Nachhaltigkeit der Lieferanten und setzen auf unterschiedliche Bewertungssysteme. Es fehlt ein allgemein akzeptierter Standard, der glaubwürdig, transparent und kostengünstig ist.
Wie kann esg2go da helfen und warum können gerade KMU von dem System profitieren?
Esg2go ist günstig und praktikabel und erstellt dem KMU einen glaubwürdigen Nachhaltigkeitsausweis, dank der Mess- und Vergleichbarkeit durch ein kalibriertes Benchmarking. Ab Juni 2023 kann jedes KMU basierend auf den 10 key areas im esg2go Score einen automatisierten Nachhaltigkeitsbericht erstellen lassen, der auch kompatibel ist mit den EFRAG Prinzipen der Nachhaltigkeitsberichterstattung der EU. Somit ist es gerüstet für die kommenden Regulierungen. Esg2go hat im Vergleich zu den existierenden privaten Standards keinen Interessenkonflikt. Es ist ein reines Bewertungstool, während die Beratung und die Verifikation unabhängige Akteure übernehmen. Ausserdem ist die Methode transparent und die Daten gehören dem KMU. Das Unternehmen entscheidet an wen die Daten weitergegeben werden. Derzeit sind verschärfte Regulierungsbestrebungen gegen Greenwashing im Gange - das kommt der Transparenz von esg2go entgegen.
Was steckt hinter der Idee von esg2go und wie lief die Entwicklung des Tools ab?
Im Jahr 2018 kam die Renaissance Anlagestiftung auf uns zu mit dem Angebot gemeinsam ein Nachhaltigkeitsbewertungstool zu entwickeln. Dieses sollte gemeinsam mit unabhängigen Expert:innen erarbeitet und mit KMU getestet werden. Nach der Entwicklung eines Prototypen und der Gewinnung von Partner- und Sponsor:innen wie UBS und Zürich Versicherung, stand die Prüfung einer ersten Testversion an. Gemeinsam mit der Firma Adjumed Services entwickelten wir ein benutzerfreundliches Produkt, das von KMU angewendet wurde. Die Daten, welche die KMU in der Testversion eingegeben haben, wurden kombiniert mit global verfügbaren Daten nach Industriekategorie (Noga Code), um das kalibrierte Benchmarking zu entwickeln. Das erste ‘Minimal Viable Product’ stand den KMU im Juni 2022 erstmals zu Verfügung und nannte sich esg2go. Diverse Grossfirmen haben inzwischen Pilotprojekte mit esg2go erfolgreich abgeschlossen. Es zeigt sich, dass esg2go eine echte Alternative zu den aufwändigeren bestehenden private Nachhaltigkeitsstandards ist.
Was sind die wichtigsten Kriterien, die bei diesem Rating-Verfahren berücksichtigt werden?
Wir haben aus einem Universum von Nachhaltigkeitsindikatoren diejenigen ausgewählt, die mess- und überprüfbar, aussagekräftig und praktikabel sind. Basierend auf den Angaben zu Treibhausgasemissionen kann esg2go auch Scope 1, 2 und 3 (erste Ordnung) ausweisen, so wie es das Greenhouse Gas Protocol vorsieht.
Das esg2go-Tool arbeitet mit Footprint- und Handprint-Scores. Welchen Vorteil hat das?
Der Footprint erfasst all die messbaren Indikatoren im E, S und G Bereich. Doch er sagt nichts über das Kerngeschäft eines Unternehmens aus. Es muss aber ein Unterschied machen, ob eine Firma alte Ölheizungen oder Wärmepumpen produziert. Bei den Handprint-Angaben hat eine Firma die Möglichkeit aufzuzeigen, dass auch das Kerngeschäft zu mehr Nachhaltigkeit beiträgt. Es ist jedoch ein optionaler Input, der von einem Gremium an Expert:innen separat beurteilt werden muss.
Wie sehen Sie die Zukunft der Nachhaltigkeitsbewertungen für Unternehmen und welchen Einfluss haben sie auf die Geschäftspraktiken?
Die EU will, dass die Nachhaltigkeitsleistung der Firmen bis 2026 mess- und vergleichbar wird und eine Harmonisierung wird angestrebt. Dadurch wird es immer wichtiger, eine erste glaubwürdige Basiseinschätzung der Firmennachhaltigkeit vorweisen zu können, die allgemein anerkannt ist. Bisher bedeutete «Nachhaltigkeit» primär Firmenbürokratie zum Zwecke eines guten Marketings. Künftig wird Bürokratie abgebaut werden müssen, damit diese Mittel in die effektive Nachhaltigkeitsverbesserung investiert werden können. Marketing wird wohl wichtig bleiben, doch wenn sich dieses als blosses Greenwashing entpuppt, wird das künftig Konsequenzen haben.
Über Philipp Aerni
Prof. Dr, Philipp Aerni ist Direktor des Center for Corporate Responsibility and Sustainability (CCRS), einem assoziierten Institut der Hochschule für Wirtschaft Freiburg (HES-SO). Er ist auch Dozent an der Universität Zürich und der ETH Zürich. Ursprünglich studierte Philipp Aerni Geographie und Wirtschaftswissenschaften an der Universität Zürich, promovierte dann in Agrarökonomie an der ETH Zürich und begann seine Forschungslaufbahn als Postdoktorand an der Harvard Kennedy School in den USA. Nach seiner Rückkehr aus den Vereinigten Staaten setzte er seine Forschung an der ETH Zürich, am World Trade Institut der Universität Bern und der Welternährungsorganisation (FAO) der Vereinten Nationen in Rom fort. Als interdisziplinärer Sozialwissenschaftler konzentriert sich seine Forschung auf die Rolle von Wissenschaft, Technologie und Innovation für eine nachhaltige Entwicklung sowie die wissenschaftsbasierte Bewertung der Firmennachhaltigkeit.
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